Gemeindebrief 1.2020 Osterartikel

Liebe Gemeindeglieder,
liebe Leser dieser Zeilen,

eigentlich wollte ich über Maria Magdalena, über Petrus und über den Jünger, den „Jesus lieb hatte“, die ersten Zeugen des auferstandenen Christus’, in der Osternacht meditieren und predigen. Da der Osternachtgottesdienst leider ausfallen muss, es wäre der letzte vor meiner Pensionierung gewesen, werde ich zwar keine Zuhörer, was mich traurig stimmt, dafür gewiss wesentlich mehr Leser haben, was mich natürlich freut.

Der Evangelist Johannes überlieferte uns: „Am ersten Tag der Woche kommt Maria Magdalena früh, als es noch finster war, zum Grab und sieht, dass der Stein vom Grab weggenommen war. „(Johannesevangelium 20). So der Evangelist Johannes. Die anderen drei Evangelien, Matthäus, Markus und Lukas überliefern allesamt, dass Maria Magdalena bei jenen Frauen dabei war, die sich am Ostermorgen aufmachten, um Jesus zu „salben“ und somit ihm ihre letzte Wertschätzung und Pietät zu erweisen. Das gehörte damals zur jüdischen und heute zum Teil noch zu unserer christlichen Tradition. Dass ein Virus auch so eine Tradition durchkreuzen oder unmöglich machen kann, und nicht nur unser ganzes soziales, gesellschaftliches, kulturelles und wirtschaftliches Gefüge, hätten wir uns in demokratischen Staaten nicht vorstellen können. Zu Pestzeiten, wie sie Hermann Hesse in seinem Roman „Narziss und Goldmund“ dramatisch beschreibt, wurden solche Traditionen selbstverständlich außer Kraft gesetzt, ging es doch ums nackte Überleben, nach dem Motto, „rette sich, wer sich retten kann.“ Johannes berichtet jedoch nur, dass Maria Magdalena zum Grab gekommen sei, ohne Jesus salben zu wollen, wahrscheinlich, wie auch wir nach einer Beerdigung, einfach um nach dem Rechten zu sehen. Sie ist so schockiert, dass sie das Grab fluchtartig verlässt und hin läuft, wo sich die Jünger Jesu versteckt und verbarrikadiert hatten. „Sie kommt zu Simon Petrus und zu dem anderen Jünger, den Jesus lieb hatte, und spricht zu ihnen: Sie haben den Herrn weggenommen aus dem Grab, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“ Maria Magdalena weiß einfach nicht, wie sie mit dieser neuen Situation fertig werden soll und muss die neue, unheimliche und gewaltige Nachricht mit anderen teilen. Sie kann und will sie nicht verbergen.

Danach kommt es zum ersten österlichen Wettlauf. „Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus, und sie kamen zum Grab. Es liefen aber die beiden miteinander, und der andere Jünger lief voraus, schneller als Petrus, und kam als Erster zum Grab….Da kam Simon Petrus ihm nach und ging hinein in das Grab…. Da ging auch der andere Jünger hinein, der als Erster zum Grab gekommen war.“ Da der Jünger (Johannes), „den Jesus lieb hatte“ wahrscheinlich jünger war als Petrus, war er als erster beim Grab, ließ Petrus jedoch den Vortritt. Sie sahen die Leinentücher und das Schweißtuch und „verstanden die Schrift noch nicht, dass er von den Toten auferstehen müsste.“ Maria Magdalena und Johannes finden wir vor der Auferstehung unter dem Kreuz. Zu ihm sagte Jesus am Kreuz hängend und leidend „Siehe das (Maria ist Jesu Mutter) deine Mutter.“ Sie nahm Johannes danach auch in seine Obhut. Wir finden viele Erzählungen von Maria Magdalena in der Bibel. „Im Hause eines Pharisäers, wo Jesus mit vielen anderen zu Tisch saß, kam eine Sünderin, Maria Magdalena, und brachte ein Alabastergefäß mit Salböl und trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu netzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küsste seine Füße und salbte sie mit dem Salböl.“

Der Pharisäer, den Jesus eingeladen hatte, dachte, dass Jesus als Prophet dieses „sündige Weib“, eine Hure, erkennen müsste. Jesus antwortet ihm mit einem Gleichnis und sagte zum Schluss: „Deshalb sage ich dir (Pharisäer): Zu Petrus, der Jesus im Haus des Hohepriesters verleugnet, ja sich selber verflucht hatte, dass er diesen Mann (Jesus)nicht kennen würde, sagte Jesus später: „Weide meine Schafe.“ Er nimmt ihn, wie auch all die anderen Jünger, in seinen Dienst, der nach dem Tod Jesu weitergehen muss. Das ist sein Vermächtnis. Was im Laufe der Geschichte der Kirche in all den Jahrhunderten immer wieder vergessen oder verdrängt wurde, auch in den Gottesdiensten, ist die biblische Überlieferung, dass Frauen die ersten Zeuginnen des Auferstandenen waren. Ohne einem heutigen Feminismus nachlaufen oder gar propagieren zu wollen, sollten wir die alten „Ostergeschichten“ neu lesen und mit diesen Frauen „ans Grab“ gehen, um danach wegzulaufen und den Auferstandenen zur verkündigen.

Gerade jetzt erkennen wir, wie wichtig jedes Leben ist, das geschützt werden soll, das Leben der Kinder, der Jugendlichen, der jüngeren vitalen Menschen, aber auch das Leben älter Männer und Frauen, und nicht zum Schluss auch das Leben der Menschen in Altenheimen und sonstigen Einrichtungen.

Neues Leben quillt aus dem vertrockneten Alten

Unlängst bekam ich von einer lieben Freundin, deren Mann ich beerdigt habe, ein Mail. Sie schreibt: „Ich habe dieses Blatt auf dem Grab meines Mannes gefunden. Es schien vertrocknet und leblos zu sein. Als ich genauer hinsah, merkte ich, dass in diesem Blatt neues Leben angefangen hatte.“ Sollte so eine Pandemie nicht sinnlos gewesen sein, dann müssten wir alle umdenken und vielleicht auch liebgewordene Gewohnheiten hinter uns lassen. Libertinismus, ein Leben in Freiheit ohne Grenzen, ein brutaler Kapitalismus, Gewinn um jeden Preis, uferlose Globalisierung ohne regionale Ressourcen, tragen zu einem großen Leidensweg alles Lebens in Zukunft bei, der Fauna und der Flora, und zur Vernichtung der Menschheit auf unserem Planeten. Ostern erinnert an das Leben, an die Kraft des Neuwerdens durch Christus.

Mit euch verbunden

Mathias Stieger, Pfarrer

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